Die verlorene Ehre der Katharina Blum-
Wie Gewalt entsteht und wohin sie führen kann
Heinrich Böll
John von Düffel
Theater und Orchester Heidelberg
16.09.2022
Bühne und Kostüme Ilka Meier
Video Sven Stratmann | Jan Enste
Musik Fabian Kuss
Lichtdesign Ralph Schanz
Dramaturgie Lene Grösch
MIT
Katharina Blum Esra Schreier
Hauptkommissar Beizmenne / Alois Sträubleder / Wilhelm Brettloh Michael Schrodt
Staatsanwalt Hach / Dr. Hubert Blorna Hendrik Richter
Dr. Trude Blorna / Frau Pelzer / Frau Schmil / Hertha Scheumel Katharina Quast
Kriminalassistent Moeding / Werner Tötges Martin Wißner
Fotos Susanne Reichardt
Heinrich Bölls Erzählung ist zeitlos: Eine junge Frau lernt auf einer Party einen Mann kennen. Sie verbringen die Nacht miteinander. Am nächsten Morgen ist er verschwunden, dafür steht die Polizei vor ihrer Tür. Der Vorwurf: Sie habe einem gesuchten Terroristen Beihilfe geleistet. Das demütigende Verhör ist nur der Auftakt einer sich überschlagenden Dynamik an Vorverurteilung, der sich Katharina Blum ausgesetzt sieht. Spätestens als die Boulevardpresse ihren Fall ausschlachtet, wird sie als eigentliche Verbrecherin inszeniert und ihr Leben ohne mediale Rücksicht auf Unschuldsvermutung oder Privatsphäre nachhaltig zerstört.
Gut 50 Jahre nachdem Heinrich Böll mit seiner Erzählung über die junge Katharina Blum die massive Macht der Medien anprangerte, bedrohen Shitstorms, Hass und Drohungen im Netz täglich unsere Gesellschaft. »Die verlorene Ehre der Katharina Blum« ist nicht nur zeitlos, sondern dieser Tage aktueller denn je.
»Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann« - Die Heidelberger Inszenierung von Ruth Messing macht die Erklärung, die der Untertitel des Stücks verspricht, ganz unmittelbar für jeden Einzelnen nachvollziehbar: durch Befragungen, Abstimmungen und direkten Austausch mit dem Publikum wird jede Vorstellung einzigartig und Stimmungsmache direkt erfahr- und nachvollziehbar. Die Inszenierung nimmt mit in den Strudel, dem Katharina Blum sich ausgesetzt sieht.
Video Siegerbusch Film
PRESSE
Schwere Kost am Stadttheater? Nicht ganz, denn Regisseurin Ruth Messing macht daraus ein turbulentes Schaustück, in dem Parodie, Satire und bitterböser Ernst sich die Waage halten. Dabei greift die Inszenierung auf derzeitige Mittel des Showbusiness zurück.
(...)
(...)Der Inszenierung (...) glückt im Verlauf der Szenen eine zunehmende Verdichtung, wenn Katharina Blum unabwendbar immer tiefer in die Verstrickungen der Verdächtigungen und Verdrehungen gerät. Die Presse rast, sie hat ihr Opfer; Journalismus wird zum Auslöser und Anwalt der Hysterie; wird jemand mir Dreck beworfen, bleibt immer etwas hängen, denn die „unsozialen“ Medien kennen nur ihre eigene Sichtweise.
Außerordentlich berührend spielt Esra Schreier die Katharina Blum, deren Psyche Stück um Stück lädiert wird, weil sie keine Hilfe erwarten kann. Sehr differenziert blättert sie die Gefühlszustände auf, die immer mehr in die Ausweglosigkeit führen. Den Gegenpart kostet Martin Wißner aus, einen Rambo-Journalisten, der nur am eigenen Ego und am Erfolg des Blattes interessiert ist. Amichael Schrodt, Katharina Quast und Hendrik Richter sind gestalterisch sehr variabel in ihren Mehrfachrollen zwischen Kommissar und Staatsanwalt, Rechtsanwalt und Wirtschaftsführer.
Theater Pur. Eckhard Britsch
Premierenkritik+Interview von Annette Lennartz, 17.09.2022
https://www.freie-radios.net/117550
Die »so präzise[…] wie packende[…] Inszenierung des Böll-Stoff[s]« von Ruth Messing zeige, dass der »medienkritische Bestseller« auch fast 50 Jahre nach seiner Veröffentlichung »nichts von seiner Brisanz verloren« habe, schreibt Volker Oesterreich in der Rhein-Neckar-Zeitung (19. September 2022). »Genial« findet der Kritiker, wie das Bühnenbild von Ilka Meier die Grundsätze der Presse- und Meinungsfreiheit ins Zentrum rückt und »klug«, wie die Regisseurin und Esra Schreier in der Titelrolle die Emotionen der Katharina Blum eindrücklich als »stille Verzweiflung« zeigten. Lob des Kritikers für alle Ensemblemitglieder in ihren verschiedenen Rollen insgesamt, inklusive »wunderbar prollig-drollig[er]« Darstellungen und »waschechte[r] Slapstick-Nummer[n]«: »So kommt bei aller Tragik auch die Komik nicht zu kurz.