Nichts, was uns passiert

Bettina Wiplert

Badische Landesbühne

 

 

Mit

Elena Weber

Sina Weiss

Colin Hausberg

David Meyer

 

 

 

Ausstattung Johannes Frei

Musik Fabian Kuss

Sommer 2014. In Brasilien ist Fußballweltmeisterschaft, in Deutschland Partystimmung, im Leipziger Studentenmilieu wird mit viel Alkohol gefeiert. Anna ist 27 Jahre alt. Sie will dolmetschen, jobbt nach dem Studium in einer Kneipe und lernt Jonas kennen. Er promoviert über ukrainische Popliteratur und hat eben eine Trennung hinter sich. Die beiden sind sich sympathisch und verbringen zusammen eine Nacht, aus der nichts folgt; kein gemeinsames Frühstück, keine Verabredung. Zufällig treffen sie sich auf einer Party wieder, völlig betrunken schleppt Jonas Anna ab. Aber sie will diesmal keinen Sex und sagt nein – oder glaubt zumindest, nein gesagt zu haben. Anna ist zu kraftlos, zu betrunken, um Jonas aufzuhalten. Ihr ist klar, dass er ihr Selbstbestimmungsrecht missachtet hat. Erst nach zwei Monaten Wut und Depression zeigt sie ihn an. Aber was sie als Vergewaltigung erlebt hat, war für ihn nicht der beste, aber ohne den geringsten Zweifel einvernehmlicher Sex. Er fühlt sich gebrandmarkt, stigmatisiert, sie sieht sich als Falschbeschuldigerin diffamiert. Denn bald wird überall über den Fall gesprochen, in der Universität, in der ganzen Stadt. Wer hat Recht? Was ist in besagter Nacht wirklich passiert? Berichte von Anna und Jonas, von Freunden, Verwandten, Uni-Professoren, WG-Mitbewohnern und Arbeitgebern ergeben ein widersprüchliches, komplexes Bild. Der Roman nichts, was uns passiert thematisiert, welchen Einfluss eine Vergewaltigung auf Opfer, Täter und das Umfeld hat und wie unsere Gesellschaft mit sexueller Gewalt umgeht. Bettina Wilpert erhielt für ihren Debütroman, der 2018 erschien, u. a. den aspekte- Literaturpreis.  

Fotos: Sonja Ramm

PRESSE

Einvernehmlicher Sex oder Vergewaltigung? Ein wichtiger Beitrag zur #metoo-Debatte

 

Es ist ein sehr sensibles Thema. Hat sie gelogen? Ist er schuldig? Aber Jonas ist doch so ein lieber Kerl, der würde doch keine Frau vergewaltigen, denken manche Freunde. Doch auch Anna gilt als vertrauenswürdig. Wem soll man denn da jetzt glauben? Was ist in der Nacht am 4. Juli wirklich geschehen? Bettina Wilpert hat mit „nichts, was uns passiert“ einen klugen, preisgekrönten Roman zur aktuellen #metoo-Debatte verfasst. Sie schildert den Fall nicht aus der Opfer-Perspektive, es geht auch weniger um eindeutige Schuldzuweisungen, vielmehr verdeutlicht sie die Dramatik der Umstände für alle Parteien. Es werden Fragen aufgeworfen, die Verzweiflung gezeigt und die Konsequenzen dargestellt,undzwarfürbeideParteien,für den (vermeintlichen) Täter und für das (vermeintliche) Opfer. Auch die Begriffe werden hinterfragt. Anna möchte sich selbst nicht als Opfer verstehen, denn sie hat Jonas ja nichts geopfert. Sie möchte ihn auch nicht bestrafen, als sie sich Monate später entscheidet, ihn anzuzeigen, vielmehr hofft sie eigentlich auf eine Entschuldigung. Auf der Badischen Landesbühne Bruchsal wurde der Roman gleichermaßen eindrucksvoll wie sensibel aufgeführt. Inszeniert streckenweise als Verhörsituation im Gericht präsentiert die Regisseurin Ruth Messing eine überzeugende Mischung aus Erzählung und Spiel, aus Anteilnahme und Distanz. Überraschend gut wirken die gesplitteten Charaktere: Protagonistin Anna wird mal von Elena Weber, mal von Sina Weiß gespielt, die beide auch noch sowohl Freunde als auch Umfeld darstellen. Mal sprechen die vier Darsteller ins Mikrofon, mal sampeln sie ihre Stimme, mal singen sie, mal rasten sie aus oder schluchzen mit grellen Scheinwerfen auf dem eigenen Gesicht. Colin Hausberg und David Meyer geben die männlichen Parts in dieser dichten Aufführung, die vor allem auch durch die starke Leistung aller vier Darsteller viel Kraft erfährt. War es nun einvernehmlicher Sex oder wurde Anna an diesem 4. Juli von Jonas vergewaltigt? Sie hat zu viel getrunken und erinnert sich nur bruchstückhaft, er postuliert seine Unschuld. Die Einbettung dieses Falles in das aufgeheizte Umfeld um Strauss-Kahn, Kachelmann oder Assange, in Statistiken und Analysen macht deutlich: hier ist eine schwierige, aber notwendige Debatte im Gange, bei der es sich lohnt genau hinzuschauen: Vorverurteilungen, Falschbeschuldigungen und vor allem natürlich die Taten selbst verursachen Schmerz und zerstören mitunter Leben. In 70 Minuten gelingt es den vier Schauspielern die wesentlichen Aspekte sichtbar, ja spürbar zu machen. Am Schluss wird das Urteil verlesen. Das Premierenpublikum spendete viel Applaus für diesen wichtigen Beitrag zur Debatte um sexualisierte Gewalt. Ein empfehlenswerter Abend, über den man sprechen sollte!

 

Badische Neuste Nachrichten, Ute Bauermeister, 17.11.2019