»Wir sind Golddorf! Maunker, freuet euch!« – So titelte die Lokalzeitung einst über Maunke. Heute erntet das Dörfchen andere Schlagzeilen. Nämlich, dass Hubert
Fängewisch in seinem Partykeller Hitlers Geburtstag feiert und sein Sohn Dirk wegen versuchten Totschlags an einem Asylbewerber im Gefängnis sitzt. Das bringt den Wutbürger Fängewisch auf die
Palme. Er fühlt sich nach Strich und Faden beschissen. Und zwar um sein Leben. Dass er, ausgerechnet er, der dreißig Jahre in der SPD und vierzig Jahre als Bergmann gedient hat, jetzt von der
Lügenpresse aus seinem eigenen Dorf vergrault wird, das wird er denen nie verzeihen! Anstatt schön, ist Hubert Fängewischs Dorf heute braun und hässlich! Man muss sagen, nicht ohne sein eigenes
Zutun!
Fotos Anton Säckl
Programmzettel:
Wat meine Maunken wieder muffen heute…
Sie sind munter, gewandt, gutmütig, liebenswürdig. Neckische Leute, uns gar nicht fremd*, die Maunker aus dem ehemals schönsten Dorf Deutschlands. Unter ihnen ist Hubert Fängewisch das
schönste Exemplar – früher engagiert bei der SPD, als Fahnenträger der Knappenkapelle, Vater, Opa, Ehemann. Was wäre Maunke ohne Menschen wie Hubert Fängewisch?
Die Ausstellung „Unser Dorf soll schöner werden“ des ethnologischen Museums von Maunke, gefördert vom Heimatverein sowie dem Verband der Maunker Landfrauen, widmet sich den aufrichtigen Bürgern
von gestern und heute. Jenen, die trotz der Verführung durch äußere Reize standhaft geblieben sind in ihrer Fürsorge und Mitmenschlichkeit, jenen, die sich um die Gemeinschaft von Maunke verdient
gemacht haben. Ganz besondere Aufmerksamkeit möchten wir dem eingeborenen Maunker Hubert Fängewisch zollen. Wie kein anderer reibt er sich für seine Mitbürger auf; er richtet seinen Blick über
den eigenen Tellerrand bis über die deutsche Rasenkante hinaus. Hier haben Sie einen Mann vor Augen, dem die Schönheit des Dorfes noch ein echtes Anliegen ist.
Unser Einblick ins Herz, ins Privateste, in den Partykeller des Hubert Fängewisch ermöglicht Ihnen ein tieferes Verständnis für die Lebensform und Gedankenwelt dieses Maunker Bürgers.
Treten Sie also näher, machen Sie es sich bequem und singen Sie mit, lassen Sie ihre Blicke schweifen und sich die Gedanken mühelos verdrehen.
* Das Zitat stammt vom Journalisten und Theaterkritiker Alfred Kerr aus dem Jahr 1898 und bezieht sich auf die bei den Deutschen Völkerschauen in Varietés und Zoologischen Gärten ausgestellten
Einwohner der damaligen Kolonien.
PRESSE
Premiere am Deutschen Theater: Fremde in der Dorfwelt
Göttingen. Der Monolog "Unser Dorf soll schöner werden" hatte im Deutschen Theater in Göttingen Premiere.
Wir befinden uns zwar im Keller des Deutschen Theaters, aber auch im Ethnologischen Museum von Maunke, einem Dorf im Ruhrgebiet. Abgegrenzt von den typischen roten Absperr-Seilen einer
Ausstellung sitzt in seinem Wohnzimmer Hubert Fängewisch, Jahrgang 1946. Plötzlich fängt er an, sein Leben in dieser miefigen kleinen Dorfwelt vor den Besuchern auszubreiten. Anfangs
lacht man über ihn, später mit ihm. Aber je mehr er, gewollt und ungewollt, preisgibt, umso tiefer bleibt das Lachen im Halse stecken.
Bei der Kinder-Verbiegung und den Demütigungen, die sein Sohn Dirk hat erdulden müssen, ist es vielleicht nicht verwunderlich, dass er woanders ein wohliges Zuhause gesucht und es bei den
Rechtsextremen gefunden hat. Zumal Vater Hubert in seinem Partykeller Hitlers Geburtstag feiert, nicht aus Überzeugung, natürlich nicht. Er feiert einfach gerne. Und die SS-Uniform im
Keller ist nur Ausdruck seiner Sammelleidenschaft.
Am Ende steht Hubert Fängewisch bis zum weich gebetteten Bauchnabel voller Wut in den Trümmern seines Lebens und versteht überhaupt nicht, wie es so weit kommen konnte. Die Zuschauer
schon.
Fängewisch selbst hat zwei Hauptschuldige ausgemacht: Die verdammte Lügenpresse und der „Neger“, der bei einem Brandanschlag, an dem sein Sohn Dirk beteiligt war, fast ums Leben kam. Der
Fremde hätte sich ja einfach von Fängewischs Dorf fernhalten können, diesem Dorf, das einst den Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“ gewonnen hat.
Lang anhaltender Beifall
Ronny Thalmeyer wurde vom begeisterten Premierenpublikum mit lang anhaltendem Beifall für seine großartige Leistung gefeiert. Er verkörpert glaubhaft den faschistoiden Wutbürger. Am Ende
ist beim Publikum kein Verständnis, geschweige denn Sympathie für Fängewisch übrig geblieben, und man versteht die unausgesprochene Warnung: Wehret den Anfängen!
Der Monolog „Unser Dorf soll schöner werden“ von Klaus Chatten wurde 1993 in Berlin uraufgeführt. In Göttingen ist Ruth Messing für die Regie, Johannes Frei für Bühne sowie Kostüm und
Viola Köster für die Dramaturgie zuständig.
Souffleuse Viktoria Labitzke geht als Ausstellungsaufsicht dem Schauspieler während der gut einstündigen Vorstellung zur Hand.
Stadtradio Göttingen
Szenenwechsel- das Theatermagazin
von Tina Fiebiger, 12.05.2017
DT-Premiere: „Unser Dorf soll schöner werden“
Blick in die Abgründe der Seele
Göttinger Tageblatt, von Michael Caspar, 24.04.2017
Kann ein Sozialdemokrat, der Willy Brandt verehrt, Rassist sein, SS-Uniformen sammeln und Führers Geburtstag feiern? Einen Blick in die Abgründe der menschlichen Seele wirft Klaus Chattens Stück
„Unser Dorf soll schöner werden“. Am Sonntag feierte es im DT-Keller des Deutschen Theaters in Göttingen Premiere.
„Betreten verboten“ steht auf dem Schild am Zaun, das Hubert Fängewischs Reich umgibt. Liebevoll dekoriert hat der 70-Jährige sein Reich (Bühne und Kostüm: Johannes Frei). Da gibt es einen
lebensgroßen Porzellan-Schäferhund und ein Aquarium. Für Lokalkolorit sorgt eine Lichtwerbung für Göttinger Edelpils. Im Bademantel beginnt Fängewisch (Ronny Thalmeyer) in Ruth Messings
Inszenierung seinen einstündigen Monolog.
SPD-Mitglied seit 30 Jahren, Fahnenträger der Knappenkapelle und engagiert für die Verschönerung seines Heimatdorfs Maunke: Das ist die eine Seite von Fängewischs Leben. Doch der Arbeiter, der in
gemütlichem Dialekt jovial plaudert und sich vom Publikum ein Ständchen zum Geburtstag singen lässt, steckt voller Aggressionen.
Er schimpft über seine Gattin, die kein Fleisch mehr essen will („wegen der vielen Mormonen“ darin). Er ärgert sich über die Frauen im Wartezimmer des Arztes, empfiehlt ihnen seinen Vater als
Vorbild, der sich faule Zähne mit der Zange zog. Er empört sich über eine Nachbarin, die ihren untreuen Ehemann mit einer Vase niederschlug, erwürgte und – nach fünf Jahren Gefängnis – wieder im
Dorf lebt.
Stolz berichtet Fängewisch, wie die Dorfgemeinschaft einen örtlichen Blumenhändler, der sich nicht am gemeinsamen Projekt „Unser Dorf soll schöner werden“ beteiligen wollte, mit einem Boykott und
sozialer Ächtung in die Knie gezwungen hat. Richtig heiß läuft Fängewisch, als er auf die Asylbewerber im Dorf zu sprechen kommt – was Thalmeyer beängstigend gut gelingt.
Von seinen Steuergeldern würden die Fremden leben, Hunde und Katzen essen, Läuse in den Kindergarten einschleppen. Sein Sohn macht ernst, erschlägt einen Afrikaner und erzählt bei der Vernehmung
auch von der Sammelleidenschaft und den Feiern des Vaters. Nun wird Fängewisch selbst von Dorfgemeinschaft geächtet. Ein verstörendes Stück aus dem Jahr 1993.